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Aktuelle Lehrveranstaltungen

Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2024

Im Sommersemester  2024 biete ich folgende Veranstaltungen an:

1. Menschen-, Grund-, soziale Rechte und die Inklusion. Donnerstags, 10.15-11.45 Uhr, Raum 8A/002, ab 11.04.2024

Behinderung ist in der modernen Gesellschaft auch und vor allem eine rechtliche Kategorie. Als solche ist sie – im Verbund mit den entsprechenden institutionellen Strukturen - ausschlaggebend darüber, welche Lebensmöglichkeiten behinderten Menschen in der modernen Gesellschaft offen stehen oder verschlossen bleiben. Politische Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Lebensmöglichkeiten behinderter Menschen werden deshalb wesentlich auch in Form von Konflikten über rechtliche Normierungen ausgetragen. Das zeigt auch die bildungs- und sozialpolitische Diskussion über die Inklusion behinderter Menschen. Ihr Hauptauslöser war eine Rechtsnorm, nämlich die sogenannte „UN-Behindertenrechtskonvention” (UN-BRK). Sie bekräftigt die eigentlich selbstverständliche Einbeziehung (Inklusion) auch behinderter Menschen in alle Menschen- und Grundrechte.

Allerdings machen Grund- und Menschenrechte in den wenigsten Fällen Vorgaben über spezifische sozial- oder bildungspolitische Strukturen oder gar einzelfallspezifische Entscheidungen. Für die Frage der faktischen Einbeziehung (behinderter) Menschen in die Gesellschaft und ihre verschiedenen Funktionssysteme (Beruf, Bildung, Privatleben und Familie, Kultur, Recht u.a.) ist aber nicht so sehr die Ebene der Menschenrechte entscheidend, sondern deren Konkretisierung in den Rechtsnormen des Sozialrechts, des Schulrechts, des bürgerlichen Rechts. Die Diskussion um das sogenannte Bundesteilhabegesetzes und seine Umsetzung ist ein besonders gutes Beispiel für Kontroversen, Zielkonflikte und Frustrationseffekte, die bei dieser
Verlagerung in die „Mühen der Ebenen” (Bertolt Brecht) auftreten.

Das Seminar stellt einen soziologisch und rechtlich informierten Inklusionsbegriff vor, zeigt die Probleme im Spannungsfeld von Menschen-, Bürger- und sozialen Rechten auf und führt zugleich in das Behindertenrecht (Sozialgesetzbuch) ein.

Eine benotete Leistung wird über die Ausarbeitung einer Präsentation (Beitrag zum Seminar) oder eine Hausarbeit erworben.

 

2. Soziologie der Behinderung. Donnerstags, 14.15 bis 15.45 Uhr, Raum 8A/003, ab 11.4.2024

Behinderung ist immer auch ein soziales Phänomen, weil unser Körper (einschließlich seiner psychischen und kognitiven Funktionen) immer auch ein soziales Phänomen ist. Das ist der Ausgangspunkt der Soziologie der Behinderung, die in diesem Seminar im Mittelpunkt steht. Davon ausgehend werden - immer an Beispielen entlang - Fragen gestellt wie:

  • Wie sehen, erfahren, interpretieren wir Behinderungen?
  • Was bedeutet das "soziale Modell" der Behinderung?
  • Gibt es eine barrierefreie Gesellschaft?
  • Kann und soll man Behinderung definieren?
  • Ist Behinderung nur eine soziale Konstruktion?
  • Was heißt "Inklusion" und wie kann man Inklusion von verwandten Begriffen wie "Integration" und "Teilhabe" abgrenzen?

Wir werden uns mit dem Verhältnis von Gesundheit und Gesellschaft befassen und die Frage stellen, welche Rolle gesellschaftliche Verhältnisse bei der Beeinträchtigung und Schädigung körperlicher, psychischer oder kognitiver Funktionen spielen können. Es wird um Vorurteile, Ausgrenzung und Stigmatisierung behinderter und psychisch kranker Menschen gehen. An ausgewählten historischen Beispielen (z.B. Freakshows, Nationalsozialismus) wird gezeigt, wie unterschiedliche gesellschaftliche Konstruktionen und Deutungen von Behinderung aussehen können und welche Auswirkungen solche Konstruktionen haben können.

In diesem Sinne wird es darauf ankommen mindestens drei Aspekte miteinander zu verknüpfen und in ihrer wechselseitigen Verschränkung zu betrachten:

  • soziale Produktion: Sowohl körperliche wie kognitive und psychische Behinderungen bzw. die mit ihnen zusammen hängenden Schädigungen können durch soziale Verhältnisse kausal verursacht werden, z.B. durch Armut, Gewalt, deprivierende Lebensverhältnisse. Besonders interessant sind hier neuere Studien über den Zusammenhang von Armut, Stress und kognitiver Leistungsfähigkeit im Spannungsfeld von Soziologie und Neurowissenschaften.
  •  soziale Reaktion: das soziale Umfeld reagiert auf Behinderung, egal, welche Ursachen sie hat. Diese Reaktion – positiv, negativ (stigmatisierend), zumeist aber: ambivalent – tritt mit der Behinderung unmittelbar in Interaktion und bestimmt ihre individuelle und soziale Realität mit. In diesem Zusammenhang soll auch ein soziologischer Blick auf die Frage der Inklusion und Integration behinderter Menschen geworfen werden.
  • soziale Konstruktion: Behinderungen werden auf verschiedenen Ebenen (Gesellschaft, Familie, persönliche Beziehungen) sozial ausgedeutet und interpretiert und umgekehrt: die sozialen Deutungsmuster prägen ihre Wirklichkeit und die sozialen Reaktionen wesentlich mit. Insbesondere die sogenannten Disability Studies beschäftigen sich mit diesem Aspekt der kulturellen Relativität von Behinderung. Wir werden uns an zwei kontrastierenden Beispielen mit der sozialen Konstruktion von Behinderung befassen: den sogenannten „Freakshows” und der nationalsozialistischen Propaganda („Rassenhygiene”).

 Grundlage des Seminars ist das Lehrbuch "Einführung in die Soziologie der Behinderung" des Dozenten. Über dieses Buch sollte jeder Seminarteilnehmer und jede Seminarteilnehmerin verfügen.

Eine benotete Leistung wird über die Ausarbeitung einer Präsentation (Beitrag zum Seminar) erworben.

 

3. Merleau-Ponty für die Sonderpädagogik - ein Lektürekurs, Donnerstags, 16.15 -17.45 Uhr, Raum 8A/003, ab 11.4.2024

Merleau-Ponty (1908-1961) ist einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt seiner Texte stehen Themen, die auch für die Sonderpädagogik von grundlegender Bedeutung sind: Körper, Wahrnehmung, Bewegung, Sprache, das Verhältnis von Kultur und Natur. Merleau-Ponty gilt als schwieriger Autor, seine Texte sind dicht und facettenreich, die Systematik seiner Argumentation erschließt sich nur indirekt. Aber nicht nur die großen Themen von Merleaus Philosophie sind für die Sonderpädagogik von Bedeutung. Faszinierend ist vor allem auch die Vielfalt und Heterogenität der kleinen Themen und Beispiele, die sich durch seine Texte hindurch ziehen. Da taucht zum Beispiel das Axolotl auf, es geht um Behinderungen und Berührungen, um Cézanne, Dohlen, Embryologie, Farbflecken und Striche, Federn auf Hüten, Gedächtnis und Gemälde, Hermaphrodismus und Homosexualität, Kinderzeichnungen, lebende Maschinen und maschinelles Leben, Laute, Linien und Punkte, Malen und Mathematik, Orgelspielen, Perspektive und Phantomglied, Quantenmechanik und Relativitätstheorie, die Stimmen des Schweigens und das Sprechen in Sätzen, Sehen, Sexualität, Sozialität, Schiffe auf dem Meer, Schimpansen, künstliche und lebende Schildkröten, Tasten, Tiere, Töne, Wasser, Wörter, Wölfe, Wut, Xenon, Zeichen, Zeigen und Greifen, Zeit.

Das sind zugleich Beispiele und Themen, für die man Kinder, Jugendliche, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen gleichermaßen interessieren und faszinieren könnte. Die Idee dieses Seminars ist daher, eine Merleau-Ponty-Lektüre einmal ganz anders anzugehen – nämlich von den kleinen Themen auf die großen Themen zu kommen. Dabei gilt es zugleich ungeahnte ästhetische, (sonder-, kultur- und kunst-) pädagogische sowie soziologische Aspekte, Potentiale und Querverbindungen zu entdecken und freizulegen. Dafür wird am Semesteranfang ein Merleau-Ponty-Lesebuch zur Verfügung stehen, das vor allem an den kleinen Themen ansetzt. Wir wollen anhand sehr kurzer Auszüge Einblicke in das Merleau-Pontysche Denken erarbeiten und sie mit für uns und unsere Arbeit in (Sonder-)Pädagogik, Rehabilitation und Inklusion, Unterricht und kultureller Bildung, Soziologie ... interessanten Aspekten verknüpfen. Ziel ist es gemeinsam einen Reader mit Merleau-Materialien und -Ideen zu erstellen – Philosophie für die Praxis. Benotete Seminarleistungen können durch Teilnahme an diesem Projekt erworben werden.

 

4. Selbstbestimmt leben? Wohnen und Biographie mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Freitags, 10.15-11.45 Uhr, Raum 8A/003, ab 12.4.2024

Wohnen und Leben („bios”) sind auf das engste miteinander verbunden. Das verrät bereits der alltägliche Sprachgebrauch: die Formulierungen „ich lebe auf dem Land/in der Stadt” und „ich wohne auf dem Land/in der Stadt” sind nahezu gleich bedeutend. Wohnen hat eine eminent biographische Dimension und umgekehrt: der Ort des Wohnens ist ein wesentliches Element meiner Lebensgeschichte. Desto erstaunlicher ist es, dass dieser Zusammenhang von Wohnen und Biographie bisher bei Fragen der Unterbringung und vor allem der vieldiskutierten "Ambulantisierung" der Betreuung beim Wohnen allenfalls eine marginale Rolle gespielt hat. Dabei liegt es auf der Hand, dass z.B. auch der Auszug von Menschen mit psychischen, körperlichen oder geistigen Behinderungen aus einem Kontext stationärer Betreuung (Heim, Klinik) ein wichtiges biographisches Übergangsgeschehen ist.

Für dessen Gelingen ist entscheidend, ob es den betroffenen Menschen gelingt, dem Übergang in die neue Wohnsituation so zu deuten, dass er in Passung zu ihren bisherigen biographischen Ressourcen, und Selbstdeutungen steht bzw. ggf. entsprechende Transformationen der eigenen
Lebensentwürfe anregen kann. Dazu wiederum bedarf es flexibler Rahmenbedingungen der Finanzierung, der Leistungsdefinition und Leistungserbringung. Das Seminar soll beide Aspekte miteinander verknüpfen und zugleich wichtiges strukturelles Wissen, z.B. über aktuelle Wohnformen in Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendhilfe und deren leistungsrechtliche Grundlagen vermitteln.

An exemplarischen Studien, u.a. auch des Dozenten, sollen die angeschnittenen biographiebezogenen und strukturellen Zusammenhänge analysiert und konkretisiert werden, außerdem sollen wichtige biographietheoretische Konzepte und Methoden erarbeitet werden.

Eine benotete Leistung wird über die Ausarbeitung einer Präsentation (Beitrag zum Seminar) erworben

 

5. Methodenwerkstatt II: Qualitative Methoden.  Freitags 12.15 Uhr bis 14.30 Uhr,  Raum 8A/003, ab 12.4.2024

Etwas über (sonder-) pädagogische Praxis oder Lebenswelten von Schüler*innen, Klient*innen und die sie betreuenden Profis lernen - statt mit Theorie und Literaturrecherchen mal mit eigener Feldforschung? Mit den Leuten sprechen statt über sie? Interviews, Befragungen mit Fragebögen, teilnehmende Beobachtung? Das ist meistens eine gute Idee! Aber wie geht man dabei vor, von der ersten Idee bis zur sorgfältigen Analyse des dabei gewonnenen Materials?

Das Problem ist, dass man Methoden qualitativer und quantitativer Sozialforschung ebenso wenig nach Handbuch erlernen kann wie Autofahren, Fliesenlegen oder Trompete spielen. Die Methodenwerkstätten, von Peter Jauch und Jörg Michael Kastl durchgeführt, sollen gemeinsames „Learning by Doing” aller Teilnehmer*innen ermöglichen – an konkreten Forschungsproblemen und „Datenmaterial” aller Art (z.B. Daten aus Fragebogen-Befragungen, Interviews, teilnehmenden Beobachtungen, Akten und anderen Dokumenten).

Sie richten sich an alle, die etwas über Forschungsmethoden lernen und/oder in eigenen Studienprojekten, Masterarbeiten oder für ihre Dissertation forschen und sich darüber mit anderen austauschen wollen. Es werden zwei Methodenwerkstätten angeboten:

  • Peter Jauch übernimmt die Werkstatt mit Schwerpunkt auf quantitativen Methoden (z. B. standardisierte Beobachtungen, Befragungen mit Fragebögen, Evaluationen, statistische Auswertungen mit SPSS u.a.);
  • Jörg Michael Kastl übernimmt die Werkstatt mit Schwerpunkt auf qualitativen Methoden (z.B. narrative Interviews, Auswertungen mit objektiver Hermeneutik/Grounded Theory).

Denkbar sind – je nach den Interessen der Teilnehmer*innen - auch phasenweise Kooperationen der beiden Werkstätten/ein Wechsel zwischen beiden Veranstaltungen.

Es können alle Studierenden und Promovierenden, die in irgendeiner Form empirisch arbeiten oder dies vorhaben, ihre Überlegungen, Probleme, Ideen, Forschungsinstrumente, Daten einbringen - zum Beispiel bei kleinen und großen Projekten während des Studiums, im Zusammenhang mit Masterarbeiten, Dissertationsprojekten. Es spielt dabei keine Rolle, in welchem Stadium der Überlegungen Sie sind. Die Veranstaltung lebt von der Diskussion in der Gruppe, wir legen großen Wert auf die Diskussion von allen mit allen. Ausgangspunkt sind stets die sich konkret stellenden Forschungsprobleme.

Die Werkstätten sind offen für alle Studierende der Fakultät für Teilhabewissenschaften und der Pädagogischen Hochschule insgesamt, die etwas über Methoden lernen wollen. Für Studierende, die von  Peter Jauch oder/und Jörg Michael Kastl bei Abschluss- oder Projektarbeiten mit empirischen Anteilen betreut werden, ist ein Besuch verbindlich.

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